Geografische Analyse der Ergebnisse der Kammerwahlen 2017 im Wahlkreis Schlettstadt-Erstein.
Wer hätte noch vor kurzem geglaubt, dass ein autonomistischer Kandidat zur Nationalversammlung in einem elsässischen Kreis die zweite Runde der Wahlen erreichen konnte? Das hat Dr. Gérard Simler von der Partei „Unser Land“ am 11. Juni 2017 im 5. Wahlkreis des Departements Bas-Rhin (Schlettstadt-Erstein) geschafft. Zudem hat Dr. Simler am 18. Juni 2017 eine ziemlich knappe Niederlage mit fast 46% der Stimmen in einem Duell gegen den schon amtierenden Abgeordneten Antoine Herth (Mitte-Rechts) gekannt! Welche Lehren muss die autonomistische Bewegung im Kreis Schlettstadt-Erstein aus den Wahlergebnissen ziehen? Diese Frage ist mittels der unterstehenden Karten der Wahlergebnisse bei den ersten und zweiten Wahlgängen zu beantworten.
Der ehemalige Kanton Marckolsheim wählt autonomistisch.
Der bedeutendste Grund der besonders guten Ergebnisse vom Dr. Simler ist seine politische Verwurzelung, d.h. seine frühere Aktivität als Departementsrat des ehemaligen – 2015 abgeschafften – Kantons Marckolsheim. Zu dieser Zeit gehörte Dr. Simler der hegemonischen „Elsässischen Mehrheit“ an. Die Karte der Wahlergebnisse bei der ersten Runde lässt fast die Grenzen des ehemaligen Kantons Marckolsheim erkennen: In allen Gemeinden dieses Raumes außer Artolsheim (Heimatdorf des gegnerischen Kandidaten und schon amtierten Abgeordneten Antoine Herth, Mitte-Rechts) kriegt Dr. Simler mehr als 20% der Stimmen und in den südlichen Gemeinden, wo er als Arzt tätig ist, sogar mehr als 30% der Stimmen (Marckolsheim, Elsenheim, Ohnenheim, Heidolsheim, Mussig, Mackenheim, Bootzheim). In der Mitte des ehemaligen Kantons Marckolsheim gibt auch sein Heimatdorf Schwobsheim dem Dr. Simler fast 52% der Stimmen und das eng verbundene Nachbardorf Boesenbiesen gibt ihm fast 32% der Stimmen. In Boesenbiesen und auch in Mussig hat aber Dr. Simler nur den zweiten Platz erreicht, während Marckolsheim, Elsenheim, Ohnenheim, Heidolsheim, Mackenheim und Bootzheim ihn auf den ersten Platz gestellt haben.
Auf der Karte der Wahlergebnisse beim zweiten Wahlgang sind die Grenzen des ehemaligen Kantons Marckolsheim ein bisschen weniger deutlich zu erkennen. Im Süden und im Heimatdorf Schwobsheim hat Dr. Simler zwar einen klaren Sieg gekannt, aber Boesenbiesen zog Herth vor, wie die Nachbardörfer Artolsheim, Hessenheim und Baldenheim. Richtolsheim, Saasenheim und Schoenau haben jedoch Simler gewählt. Simler haben auch die meisten Gemeinden des Nordens des ehemaligen Kantons Marckolsheim gewählt: Diebolsheim (heute im Kanton Benfeld-Erstein), Bindernheim, Wittisheim, Hilsenheim. Müttersholtz hat Herth nur einen knappen Sieg gegeben. In Sundhausen entspricht der Unterschied zwischen Herth und Dr. Simler dem durchschnittlichen Unterschied des Wahlkreises.
Hoffnungszeichen im ehemaligen Kanton Benfeld, ziemlich große Schwäche im ehemaligen Kanton Erstein.
Soll man unbedingt aus einer etablierten Partei steigen, um gute Ergebnisse unter den Farben der Heimatbewegung zu bekommen? Die Karten zeigen, dass es bei den Kammerwahlen 2017 noch entscheidend war. Aber sie zeigen auch, dass Autonomismus in manchen Gemeinden außerhalb des ehemaligen Kantons Marckolsheim lebendig ist. Beim ersten Wahlgang hat sich Witternheim mit 27% der Stimmen für Dr. Simler (nur 1% hinter Herth) dem letztgenannten verschwundenen Kanton zusammengeschlossen. Diese Gemeinde hat sogar Dr. Simler beim zweiten Wahlgang weit vorne gestellt. Noch drei weitere Gemeinden des ehemaligen Kantons Benfeld haben bei der zweiten Runde Simler gewählt: Rossfeld und Sermersheim im Süden, Sand im Norden. Die drei Dörfer hatten bei der ersten Runde nur mittelmäßig autonomistisch gewählt (15-17%). In fünf weiteren Gemeinden des ehemaligen Kantons Benfeld war bei der zweiten Runde der Sieg von Herth knapp: Kertzfeld und Matzenheim im Norden, Kogenheim und Rhinau im Süden, Herbsheim in der Mitte. Herbsheim gehörte beim ersten Wahlgang zu den neun Gemeinden des Wahlkreises, wo Dr. Simler weniger als 10% der Stimmen bekommen hatte: Die Besonderheit der Gemeinde Herbsheim war der dritte Platz des linksextremistischen Kandidaten und Dorfkindes Patrick Dutter mit fast 15%.
Im ehemaligen Kanton Erstein hat nur eine Gemeinde die Mehrheit der Stimmen dem autonomistischen Kandidat gegeben: Westhausen, eine Gemeinde, die unweit von Sand liegt. In allen anderen Gemeinden dieses Raumes hat Herth von einem klaren Sieg profitiert. Die Meisten hatten schon beim ersten Wahlgang nur wenig Simler gewählt. In der Stadt Erstein und den umliegenden Dörfern hat also die örtliche „Unser Land“-Gruppe in den nächsten Jahren besonders viel Arbeit zu leisten!
Große Schwäche im ehemaligen Kanton Schlettstadt, Hoffnungszeichen in den ehemaligen Kantonen Barr und Weiler.
Eine noch traurige Lage ist im ehemaligen Kanton Schlettstadt zu finden, wo gar keine Gemeinde die Mehrheit der Stimmen beim zweiten Wahlgang dem autonomistischen Kandidat gegeben hat. Herth hat sogar einen klaren Sieg in allen Gemeinden dieses Raumes, außer Kintzheim, wo es knapp war (nur 52%). Bei der ersten Runde hatten nur zwei Gemeinden mehr als 15% der Stimmen dem Dr. Simler gegeben: Orschwiller im Süden und Ebersheim im Norden (jede um 17%). Dieffenthal hat sich als Hochburg des Jakobinismus gezeigt: bei den zwei Runden der Kammerwahlen hat dieses Weinbaudorf die niedrigsten Ergebnisse dem autonomistischen Kandidat gegeben, resp. 6% und 28% der Stimmen.
Ein ähnliches Wahlprofil hat im ehemaligen Kanton Barr das Weinbaudorf Itterswiller: 8% der Stimmen beim ersten Wahlgang, 30% beim zweiten Wahlgang. Im ehemaligen Kanton Barr hat man aber mehr Simler gewählt als im ehemaligen Kanton Schlettstadt: Mehr als 20% der Stimmen gingen in Mittelbergheim und in Blienschwiller zum Kandidat der autonomistischen Partei und neun weitere Gemeinden haben zwischen 15% und 20% Simler gewählt, darunter die Stadt Barr! Eichhoffen, wo nur wenige Stimmen dem Dr. Simler bei der ersten Runde gegeben wurden, war bei der zweiten Runde die einzige Gemeinde des ehemaligen Kantons Barr, wo der autonomistische Kandidat vorne stand. Im Nachbardorf Mittelbergheim, wohin der Stellvertretende Simlers, Martin Meyer, vor kurzem umgezogen ist, sind Herth und der Autonomist stimmengleich. Mit den Dörfern Andlau, Bernhardsweiler und Reichsfeld hinzu, wo Herth nur knapp gewonnen hat, bildet sich ein Block, wo Autonomismus eine große Bedeutung hat. Zu bemerken ist noch, dass Blienschweiler, ein Dorf, das beim ersten Wahlgang ziemlich autonomistisch gesinnt war (wie bei den letzten Regionalwahlen), beim zweiten Wahlgang einen klaren Sieg (61%) dem Gegner Simlers gegeben hat. Auch in Hochburgen ist also die autonomistische Idee zu fördern.
Ein letzter Raum, wo die Partei „Unser Land“ noch viele Herzen zu gewinnen hat, ist der ehemalige Kanton Weiler. Da liegt, im tiefen Weilertal, ein Block von vier Dörfern, die Simler sehr wenig gewählt haben: Bassenberg und die drei welschen Dörfer Grube/Fouchy, Laach/Lalaye und Urbeis mit resp. 7%, 8%, 7% und 9% der Stimmen bei der ersten Runde. Neben diesem Block liegt aber das elsässischsprachige Dorf Meisengott, wo Simler bei der ersten Runde 26% der Stimmen erreicht hat, und wo er bei der zweiten Runde der Wahlsieger war. Zwei weitere Gemeinden des Weilertales haben beim zweiten Wahlgang Simler gewählt: St. Martin, neben Meisengott, und Thannweiler, an der Öffnung des Tales. In Dieffenbach, neben Thannweiler, war der Sieg fast zu erreichen. Alle andere Gemeinden des ehemaligen Kantons Weiler, wo man beim ersten Wahlgang kaum oder nur mittelmäßig die autonomistische Partei gewählt hat, haben beim zweiten Wahlgang Herth einen klaren Sieg gegeben. Im Weilertal, wo Linke (France Insoumise) und Grüne besonders stark sind, hat also die elsässische Heimatbewegung noch viel zu tun. Die wenigen schon guten dortigen Wahlergebnisse zeigen aber, dass künftige Bemühungen auch in diesem Raum sicher nicht vergeblich sein würden.
Zukunftsaussichten für die autonomistische Bewegung im Wahlkreis Schlettstadt-Erstein.
„Unser Land“ ist vor allem eine ländliche Partei und ländlich muss auch die Partei bleiben. Das Elsässertum wurde nämlich auf dem Land besser bewahrt. Die autonomistische Partei muss aber auch den städtischen Wähler sprechen. Man denkt besonders an Schlettstadt und Erstein. Im Zusammenhang mit dem Schulthema ist sicher in diesen Städten etwas zu unternehmen. Die Weinbaudörfer westlich von Schlettstadt und das Umland um Erstein sind auch Schwachpunkte. Dort wird wahrscheinlich eine klarere Stellung von den Autonomisten über Landwirtschaft und Naturschutz erwartet. Die Organisation der „Unser Land“-Gruppe Schlettstadt-Erstein ist sicher auch zu verbessern. Der letzte Schwachpunkt ist das tiefe Weilertal, insbesondere die welschen Dörfer: die welsche Identität muss auch von „Unser Land“ berücksichtigt werden, damit die Partei auch in den Bergen sich entwickeln kann. Schließlich muss man sich im ehemaligen Kanton Marckolsheim nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen: Auch dort muss die autonomistische Idee weiter gefördert werden. Es gibt also noch viel zu leisten. Die nächsten Kammerwahlen (2022) werden sicher noch schwieriger sein, denn der Staatspräsident Macron will jetzt weniger Abgeordnete, was auch größere Wahlkreise bedeutet. Immer grösser, immer weniger Demokratie! Um diese Tendenz zu bekämpfen brauchen die Elsässer die Partei „Unser Land“! Und die autonomistische Bewegung braucht eine starke Unterstützung der elsässischen Wählerschaft!